WERKVERTRAG
Wann ist die Inanspruchnahme einer Bankgarantie rechtsmissbräuchlich?
Bei der Abwicklung von Bauvorhaben werden regelmäßig Bankgarantien eingesetzt, um Ansprüche der Vertragsparteien abzusichern. Sei es in der Form einer Erfüllungsgarantie, die der Auftraggeber vom Werkunternehmer für die ordnungsgemäße und vollständige Erfüllung der vertraglich zugesagten Lieferungen und Leistungen fordert, sei es in der Form einer Sicherstellungsgarantie gemäß § 1170b ABGB, die der Auftragnehmer im Zusammenhang mit der Sicherung seines Werklohnanspruches verlangt. Dieser letztgenannte Sicherstellungsanspruch gebührt ab Vertragsabschluss, unabhängig davon, ob mit der Leistungserbringung bereits begonnen wurde und auch unabhängig davon, ob das Werk mit Mängeln behaftet ist.
Im Laufe des Projektfortschritts, in der Regel gegen Ende der Fertigstellungs- und Liefertermine, wenn Auffassungsunterschiede zwischen dem Auftraggeber und dem Werkunternehmer über Umfang und Qualität der Leistungserbringung vermehrt zum Thema werden und die Fristen der Garantien abzulaufen drohen, werden Bankgarantien oft leichtfertig abgerufen, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen bzw. der Abruf zu vertragsfremden Zwecken erfolgt. Diesfalls spricht man von einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme der Garantie.
Bei einer abstrakten Bankgarantie ist der Garantievertrag vom Bestand der gesicherten Hauptschuld grundsätzlich unabhängig. Die garantierende Bank kann gegenüber dem aus der Garantie Begünstigten keine Einwendungen und keine Einreden aus dem zwischen dem Auftraggeber und dem begünstigten Werkunternehmer bestehenden Kausalverhältnis geltend machen. Vielmehr ist es gerade Sinn einer Bankgarantie, dem Begünstigten eine sichere und durch Einwendungen nicht verzögerte Zahlung durch die Bank zu gewährleisten. Allfällige Streitigkeiten sollen erst nach erfolgter Zahlung durchgeführt werden. Es gilt der Grundsatz: Zuerst zahlen, dann streiten!
Die Schutzwürdigkeit des Begünstigten aus einer Garantie ist aber dann nicht gegeben, wenn das Nichtbestehen des Anspruchs zur Zeit der Inanspruchnahme evident erwiesen ist. Dabei kommt es auf den Wissensstand bzw. die Beweislage im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Garantie an. Hält sich der Begünstigte aus vertretbaren Gründen für berechtigt, den Garantieabruf vorzunehmen, kann ihm in der Regel kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden. Rechtsmissbrauch wird aber insbesondere dann angenommen, wenn der Begünstigte einen Garantieabruf tätigt, obwohl er weiß, dass er die Zahlung umgehend rückerstatten muss. Die Tatsache allein, dass der Auftraggeber gegenüber der Bank der Auszahlung der Garantiesumme widerspricht, berechtigt die Bank noch nicht, dem Begünstigten die Zahlung zu verweigern. Wird Rechtsmissbrauch behauptet, muss der Auftraggeber bzw. die verweigernde Bank eindeutig und evident den Nachweis dafür erbringen. Letztendlich ist es eine Frage der rechtlichen Beurteilung durch das Gericht, ob jene Tatsachen, die beispielsweise die Streitparteien im Rahmen eines Provisorialverfahrens (mittels einstweiliger Verfügung) zur Verhinderung der Auszahlung einer abgerufenen Bankgarantie vortragen, in rechtlicher Hinsicht geeignet sind, den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu rechtfertigen.
Wenn der Begünstigte die Bankgarantie im Bewusstsein abruft, dass seine Forderung z.B. aus der Schlussrechnung noch gar nicht fällig ist, weil beispielsweise noch nicht einmal die Skontofrist abgelaufen ist und darüber hinaus noch diverse Fertigstellungsarbeiten und Sanierungsleistungen offen sind, das Werk also noch gar nicht abgenommen ist, dann wird man davon ausgehen müssen, dass der Werkunternehmer vor diesem Hintergrund noch nicht zum Abruf berechtigt und daher die Inanspruchnahme rechtsmissbräuchlich war.
Zu beachten ist schließlich, dass eine Garantie nur zum vereinbarten Zweck abgerufen werden darf. Ist beispielsweise ausdrücklich vereinbart, dass die Bankgarantie nur Gewährleistungsansprüche absichern soll, darf sie nicht zur Deckung sonstiger Forderungen gegenüber dem Gewährleistungspflichtigen in Anspruch genommen werden.
Für die Praxis bedeutet dies, dass vor Inanspruchnahme einer Bankgarantie genau zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen tatsächlich vorliegen. Sollte die Laufzeit der Bankgarantie zu Ende gehen und offene Forderungen im Raum stehen, ist es besser, vom Auftraggeber eine Verlängerung der Bankgarantie zu fordern, damit ohne Zeitdruck eine Beurteilung der Sachlage durchgeführt werden und so eine drohende rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Garantie verhindert werden kann.
Wilfried Opetnik, November 2021
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