BAUTRÄGERVERTRAGSGESETZ
Vorzeitige Auszahlung bei Fehlen einer baubehördlichen Benützungserlaubnis unzulässig
Zentraler Anknüpfungspunkt der Sicherungsmodelle des Bauträgervertragsgesetzes in unterschiedlicher Ausprägung ist der jeweilige Baufortschritt des Projekts. Ziel der Sicherungsmodelle ist es immerhin, einerseits eine laufende Finanzierung der Bautätigkeit des Bauträgers bei Minimierung des Einsatzes von Fremdmitteln zu erreichen. Andererseits soll dem Erwerber des jeweiligen Objekts größtmögliche Sicherheit in Relation zum Fortschritt des Bauprojekts durch Zurückbehaltung eines entsprechenden Anteils am Kaufpreis garantiert werden. Nicht zuletzt soll auch die durch die Bautätigkeit geschaffene Wertschöpfung in Form der sukzessiven Herstellung des Bauwerks erhalten und geschützt werden, indem die errichtete Bausubstanz während der Bauphase vor negativen vertikalen und horizontalen Einflüssen geschützt wird. Dieser Zweck wird besonders bei näherer Betrachtung der gemäß § 10 BTVG normierten Bauabschnitte – wie etwa der Fertigstellung des Rohbaus und des Dachs (Schutz vor vertikalen Einflüssen) und der Fertigstellung der Fassade und der Fenster einschließlich deren Verglasung (Schutz vor horizontalen Einflüssen) – deutlich. Nun hat der Oberste Gerichtshof erneut klargestellt, dass nicht nur technische Aspekte bei der Beurteilung der Fertigstellung zu berücksichtigen sind, sondern auch rechtliche Aspekte.
In seiner jüngsten Entscheidung zu diesem Themenbereich vom 3.8.2021 hat sich der Oberste Gerichtshof zu 8 Ob 79/21g wiederum vor allem mit den Voraussetzungen der „finalen“ Bauabschnitte der Bezugsfertigstellung bzw. bei vereinbarter vorzeitiger Übergabe des eigentlichen Vertragsgegenstandes auseinandergesetzt. In der konkreten Sachverhaltskonstellation wurden ein Gebäude erneuert und Dachgeschoßwohnungen neu errichtet, die bei Abschluss des Kaufvertrages „nahezu fertiggestellt“ hätten sein sollen, weshalb die Regelungen des BTVG auf das Vertragsverhältnis keine Anwendung gefunden hätten. Im konkreten Fall waren tatsächlich wesentliche Teile der Gesamtanlage – wie etwa die Aufzugsanlage – nicht fertiggestellt und überdies lag insbesondere keine baubehördliche Benützungserlaubnis bezüglich der streitverfangenen Dachgeschoßwohnung vor.
Dennoch erfolgte durch den Treuhänder eine Auszahlung des Kaufpreises, weshalb dieser sich in weiterer Folge mit Ansprüchen aus dem Titel des Schadenersatzes konfrontiert sah, weil eine Auszahlung des Treuhanderlages vor Fälligkeit vorgenommen wurde. Mit seiner Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof erneut hervorgehoben, dass eine Fertigstellung im Sinne des Sicherungsmodelles nach Ratenplan gemäß § 10 BTVG dann jedenfalls nicht anzunehmen ist, wenn die zur Nutzung des jeweiligen Objekts gesetzlich erforderliche Benützungsbewilligung gemäß der jeweiligen Bauordnung nicht vorliegt. Diese Ansicht kann auch anhand des Wortlauts des § 7 Abs 5 BTVG nachvollzogen werden, der vorsieht, dass „die Sicherungspflicht des Bauträgers […] mit der tatsächlichen Übergabe des fertiggestellten eigentlichen Vertragsgegenstandes und der Sicherung der Erlangung der vereinbarten Rechtsstellung [endet]„.
Auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene spannende Frage, ob das BTVG insofern widersprüchlich sei, als es zwei Fertigstellungszeitpunkte vorsehe (nämlich einerseits die Bezugsfertigstellung des eigentlichen Vertragsgegenstandes und andererseits die Fertigstellung der Gesamtanlage) sah sich der OGH nicht veranlasst einzugehen, zumal eine Fertigstellung des eigentlichen Vertragsgegenstandes konkret ohnehin nicht erfolgt sei. Im konkreten Fall wurde die Dachgeschoßwohnung nämlich vertragsgemäß samt Kellerabteil veräußert, das aber bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht fertiggestellt oder übergeben und insofern auch keinesfalls „vorzeitig übergeben“ im Sinne des § 10 Abs 2 Z 1und 2 lit. e BTVG sein konnte. Letztlich hat der Oberste Gerichtshof erneut unterstrichen, dass für eine Fertigstellung im Sinne des Bauträgervertragsgesetzes nicht nur ein entsprechender technischer Fortschritt im Sinne eines weitgehenden Abschlusses der Bauführung erforderlich ist, sondern rechtlich auch die Erfordernisse der jeweiligen Bauordnungen (wie das Vorliegen einer Benützungsbewilligung oder – im Fall der Fertigstellung der Gesamtanlage – auch weitere Voraussetzungen wie etwa die Erfüllung einer Verpflichtung zur Errichtung einer Aufzugsanlage) vorliegen müssen, um eine Fertigstellung im gesetzlichen Sinn annehmen zu können. Erst dann ist der Treuhänder berechtigt und verpflichtet, dem Baufortschritt entsprechende Auszahlungen vorzunehmen.
Philip Gödl, November 2021
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