WERKVERTRAG
Solidarhaftung am Bau
SOLIDARISCHE HAFTUNG MEHRERER SCHÄDIGER
Für das Entstehen von Bauwerken sind im Regelfall die Leistungen verschiedener Beteiligter (Architekt, Bauunternehmer, Örtliche Bauaufsicht „ÖBA“, Sonderfachleute für Statik, Vermessung, Haustechnik, etc.) notwendig, die aufeinanderfolgend oder nebeneinander erbracht werden. Mängel in der Leistungserbringung können dabei bei jedem einzelnen Beteiligten auftreten. In der Praxis kommt es freilich aber auch oft vor, dass mehrere am Bau Beteiligte einen Mangel zu verantworten haben, der zu einem Schaden führt.
§ 1302 ABGB regelt die Haftung bei gemeinsamer Schadenszufügung: Bei fahrlässiger Schädigung haftet jeder Schädiger gegenüber dem Bauherrn nur für den von ihm verursachten Schaden, wenn sich die Anteile bestimmen lassen. Bei vorsätzlicher Schädigung oder wenn sich die Anteile nicht bestimmen lassen (was oft der Fall ist), haften alle Schädiger solidarisch (gesamtschuldnerisch). Es gilt das Prinzip: „Einer für alle, alle für einen!“ D.h. der geschädigte Bauherr kann sich aussuchen, ob er vollen Ersatz von allen Schädigern oder auch nur von einem Schädiger verlangt.
HAFTUNG VON ARCHITEKT UND BAUUNTERNEHMER
Den Bauherrn trifft nach ständiger Rechtsprechung die Pflicht, dem bauausführenden Unternehmen taugliche Pläne für ein Bauwerk zur Verfügung zu stellen und das Bauprojekt zu koordinieren. Wird die Planung (und Koordinierung) des Projektes an einen Architekten ausgelagert, so sind Fehler des Architekten dem Bauherrn nach § 1313a ABGB (Erfüllungsgehilfenhaftung) zuzurechnen. D.h. im Verhältnis zwischen Bauunternehmer und Bauherr wird so getan, als ob die (Planungs-) Fehler des Architekten vom Bauherrn selbst verursacht wurden. Der Bauunternehmer kann sich damit auf den Mitverschuldenseinwand gem. § 1304 ABGB berufen. Für ein Mitverschulden des Bauherrn bestimmt § 1304 ABGB, dass der Schaden verhältnismäßig (nach dem Ausmaß der Beteiligung und dem Verschuldensgrad) aufzuteilen ist. Lässt sich das Verhältnis nicht bestimmen, so tragen sie den Schaden zu gleichen Teilen.
In der Praxis wird im Gerichtsverfahren der Bauherr dem Architekten den Streit verkünden, damit die Feststellungen im Prozess zwischen dem Bauherrn und dem Bauunternehmer für einen möglichen Folgeprozess zwischen Bauherr und Architekt bindend sind.
HAFTUNG VON BAUUNTERNEHMER UND ÖBA
Kommen zu Bauausführungsmängeln eines Bauunternehmers auch Überwachungsfehler der ÖBA hinzu, kann der Bauherr beide Unternehmen im Wege der Solidarhaftung in Anspruch nehmen.
Häufig klagt der Bauherr nur den Bauunternehmer auf Ersatz des gesamten Schadens. Nach der Rechtsprechung muss sich der Bauherr einen Überwachungsfehler der ÖBA nicht zurechnen lassen, der Bauunternehmer kann daher kein Mitverschulden des Bauherrn einwenden, sodass der Bauunternehmer auch zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet werden kann.
REGRESS ZWISCHEN SCHÄDIGERN
Ein Schädiger, der dem Geschädigten den gesamten Schaden ersetzt, hat gegen die übrigen solidarisch haftenden Schädiger nach der Rechtsprechung einen Regressanspruch nach § 1302 iVm § 896 ABGB. Der Umfang des Regressanspruchs richtet sich nach der Rechtsprechung vor allem nach dem Ausmaß der Beteiligung und dem Verschuldensgrad. Sind diese nicht feststellbar („wenn kein anderes besonderes Verhältnis unter ihnen besteht“), kommt es zur Ersatzpflicht nach gleichen Teilen (d.h. bei zwei Schädigern je ½; bei vier Schädigern je ¼, etc.).
Seit der Entscheidung OGH 8 Ob 88/19b ist aber nunmehr klar, dass sich der Bauunternehmer im Fall eines Überwachungsfehlers über § 896 ABGB an der ÖBA regressieren kann. Im Regress zwischen Bauunternehmer und ÖBA sind wieder die „besonderen Verhältnisse“ maßgeblich. Der OGH führte dazu aus, dass in der Regel zwar von einer überwiegenden, wenn nicht sogar alleinigen Haftung des Bauunternehmers bei Mangelschäden auszugehen sei, es aber ausnahmsweise je nach Fallgestaltung auch zu einem stark überwiegenden Verschulden der ÖBA kommen kann. Sind Ausmaß der Beteiligung und Verschuldensgrad nicht feststellbar, tragen Bauunternehmer und ÖBA den Schaden zu gleichen Teilen.
Der Regressanspruch nach § 896 ABGB ist ein selbstständiger Anspruch und unterliegt der langen 30-jährigen Verjährungsfrist, die erst zu laufen beginnt, wenn der Solidarschuldner bezahlt hat. Die kurze Verjährungsfrist von drei Jahren kommt nur ausnahmsweise zur Anwendung und würde auch erst zu laufen beginnen, wenn der Solidarschuldner bezahlt hat.
Ein Solidarschuldner kann den Rückgriff auch nicht dadurch abwehren, dass er sich mit dem Bauherrn separat vergleicht. Ein Schulderlass, der nicht alle Solidarschuldner befreit, bewahrt den Begünstigten nicht vor einem Regress.
WIRKUNG VERTRAGLICHER HAFTUNGSBESCHRÄNKUNGEN
Vertragliche Haftungsbeschränkungen (z.B. Haftungsausschluss bei leichter Fahrlässigkeit oder eine Haftungshöchstgrenze) sind nur gegenüber demjenigen wirksam, mit dem sie vereinbart wurden. Falls Haftungsbeschränkungen mit dem Bauherrn vereinbart wurden, greifen sie nicht im Regress-Prozess zwischen Bauunternehmer und ÖBA. Vielmehr müsste die ÖBA die Haftungsbeschränkung gegenüber dem Bauherrn (in einem dritten Prozess!) geltend machen.
CONCLUSIO
Aufgrund der Solidarhaftung aller am Bau beteiligten Professionisten kann sich der Bauherr grundsätzlich aussuchen, ob er alle, einige oder nur einen Schädiger in Anspruch nimmt. Nimmt der Bauherr zunächst nur dem ausführenden Bauunternehmer auf Ersatz des gesamten Schadens in Anspruch, kann dieser im Hinblick auf Planungs- und/oder Koordinierungsfehler des Architekten den Mitverschuldenseinwand gem. § 1304 ABGB erheben. In Bezug auf Überwachungsfehler der ÖBA kann er sich über § 896 ABGB regressieren. In beiden Fällen kommt es zur verhältnismäßigen Haftung je nach Ausmaß der Beteiligung und des Verschuldensgrades. Lassen sich diese nicht feststellen, haften die Beteiligten zu gleichen Teilen.
Manfred Wiener, Stefan Kreimer, November 2021
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