WERKVERTRAGSRECHT
SICHERSTELLUNG NACH § 1170B ABGB BEI REINEN PLANUNGSLEISTUNGEN?

Das Recht auf Sicherstellung steht gemäß § 1170b Abs 1 ABGB dem „Unternehmer eines Bauwerks, einer Außenanlage zu einem Bauwerk oder eines Teiles hievon“ zu. Der Werkunternehmer ist demnach berechtigt, vom Werkbesteller ab Vertragsabschluss für das noch ausstehende Entgelt eine Sicherstellung bis zur Höhe eines Fünftels des vereinbarten Entgelts, bei Verträgen, die innerhalb von drei Monaten zu erfüllen sind, sogar bis zur Höhe von zwei Fünfteln des vereinbarten Entgelts, zu verlangen.
Sachlicher Anwendungsbereich
Der sachliche Anwendungsbereich der gegenständlichen Bestimmung umfasst Verträge über die Herstellung oder Bearbeitung „eines Bauwerks, einer Außenanlage zu einem Bauwerk oder eines Teils hievon“. In Bezug auf den sachlichen Anwendungsbereich des § 1170b ABGB bestehen jedoch viele strittige Abgrenzungsfragen. Der OGH hat sich diesbezüglich noch nicht im Detail geäußert, in 3 Ob 211/07m jedoch angemerkt, dass der Anwendungsbereich der Leistungen des Werkunternehmers im Sinne des § 1170b ABGB deckungsgleich mit jenem der Bauleistungen nach Punkt 3.1 ÖNORM B 2110 ist. Die ÖNORM B 2110 definiert Bauleistungen in ihrem Punkt 3.1 folgendermaßen: „Herstellung, Änderung, Instandsetzung, Demontage oder Abbruch von Bauwerken und Bauteilen, Landschaftsbau und sonstige Bauarbeiten jeder Art im Rahmen eines Werkvertrages, ferner erforderliche Vorbereitungs- und Hilfsarbeiten sowie Errichtung und Demontage oder Abbruch von Hilfsbauwerken sowie Leistungen der Haustechnik“. Für die Gleichsetzung des sachlichen Anwendungsbereichs von § 1170b ABGB mit dem Begriff der Bauleistungen im Sinne der ÖNORM B 2110 erntete der OGH allerdings vielfältige Kritik, zumal für die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs von § 1170b ABGB der Gesetzeswortlaut sowie der Normzweck maßgebend sind und die Definition der Bauleistungen in der ÖNORM B 2110 allenfalls ein Indiz sein darf.
Sind reine Planungsleistungen vom Anwendungsbereich umfasst?
In den Gesetzesmaterialien zu § 1170b ABGB werden ausdrücklich Planungsleistungen, namentlich die Planung eines Hauses und die Planung einer Heizungsanlage, genannt. Auch die deutsche Parallelbestimmung des § 648a BGB (aF), welche das erklärte Vorbild der österreichischen Regelung des § 1170b ABGB ist, schließt reine Planungsleistungen nicht von der Sicherstellungsberechtigung aus.
Vom Sicherstellungsanspruch nach § 1170b ABGB kann demnach grundsätzlich auch Gebrauch machen, wer (noch) keine materiellen Bauleistungen, sondern nur geistige Planungsleistungen erbringt. Zum Kreis der Sicherstellungsberechtigten sind daher auch Architekten, Statiker, Ingenieure und sonstige Bausachverständige zu zählen. In 6 Ob 65/18d hat auch der OGH erkannt, dass rein planerisch tätige Personen grundsätzlich in den Anwendungsbereich des § 1170b ABGB fallen können.
Es gibt aber durchaus auch anderslautende Meinungen im uneinheitlichen Schrifttum, nach welchen geistige Planungsleistungen generell aus dem Anwendungsbereich des § 1170b ABGB auszunehmen sind.
Abgestellt wird dabei unter anderem darauf, dass das der Norm immanente typische Risiko in diesem Fall nicht gegeben ist. Aus der Sicht des vorleistungspflichtigen Werkunternehmers besteht dieses Risiko in der Insolvenz des Werkbestellers und hängt vor allem mit der festen Verbindung des Bauwerks mit der Liegenschaft und dem damit verbundenen Eigentumserwerb des Grundstückseigentümers zusammen. Da der lediglich planende Architekt oder Statiker seine Pläne grundsätzlich nur Zug um Zug gegen Zahlung seines Werklohnes herauszugeben habe, entfalle dieses Risiko. Argumentiert wird auch damit, dass der Architekt, der ein Bauwerk plant, das in weiterer Folge nicht realisiert und umgesetzt wird, kein „Unternehmer eines Bauwerks“ und damit bereits vom Wortlaut der Bestimmung nicht erfasst ist.
Unter Bedachtnahme auf den Normzweck von § 1170b ABGB wird auch jene Lehrmeinung vertreten, nach welcher die Sicherstellung für reine Planungsleistungen nicht schon bei Vertragsabschluss und Beginn der rein geistigen Planungsarbeit verlangt werden kann. Um vom Sicherstellungsanspruch nach § 1170b ABGB Gebrauch machen zu können, müssen sich die Planungsleistungen materiell bereits in einer Bautätigkeit oder zumindest in einer sonstigen bauspezifischen faktischen Verwendung der geistigen Planungsleistung durch den Werkbesteller realisiert haben. Eine solche bauspezifische Verwendung von geistigen Planungsleistungen liegt beispielsweise dann vor, wenn der Werkbesteller die Pläne zur Einreichung bei der Baubehörde verwendet oder die Planungsleistungen, sofern diese einer Ausschreibung zugrunde gelegt werden, zur Beschaffung von Bauleistungen dienen.
Fazit
Die Frage nach der Anwendbarkeit von § 1170b ABGB auf rein geistige Planungsleistungen ist in der Lehre und im Schrifttum strittig, von der Rechtsprechung nicht in ausreichendem Maße geklärt und daher auch nicht abschließend zu beantworten.
Dem Ansatz, dass rein geistige Planungsleistungen nicht generell vom Anwendungsbereich des § 1170b ABGB ausgenommen sind und auf die Realisierung in einer Bautätigkeit abgestellt wird, sollte mE der Vorzug gegeben werden. Dadurch bleibt auch bei reinen Planungsleistungen der Zusammenhang mit der faktischer Bautätigkeit oder zumindest mit einer bauspezifischen Verwendung der Planungsleistungen zugunsten des Werkbestellers gewahrt.
Michael Rommer, Juni 2022
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