MIETRECHT
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG ZU MIETZINSMINDERUNGSANSPRÜCHEN AUFGRUND VON BETRETUNGSVERBOTEN WÄHREND DER COVID-19-PANDEMIE
Aufgrund der von der Bundesregierung im Zuge der COVID-19-Pandemie verhängten Betretungsverbote für Geschäftsräumlichkeiten stellte sich für eine Vielzahl von Unternehmern die Frage, ob die Mietzinse während der Dauer der Unbenutzbarkeit weiterhin zu bezahlen sind oder den betroffenen Unternehmern Mietzinsminderungsansprüche zustehen oder sogar ein Entfall der Mietzinszahlungsverpflichtung in Betracht kommt.
Der OGH hat sich mit dieser Problematik nun in seiner Entscheidung zur GZ 3 Ob 184/21m umfassend auseinandergesetzt.
Nagel- und Kosmetikstudio im Einkaufszentrum
Dieser Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in welchem die Klägerin Betreiberin eines Einkaufszentrums war. Die Beklagte wiederum war Mieterin eines Geschäftslokals in diesem Einkaufszentrum, in welchem sie ein Nagel- und Kosmetikstudio betrieb. Der zwischen den Streitteilen abgeschlossene Mietvertrag enthielt eine Bestimmung, wonach der Bestandnehmer auf eine Minderung oder Zurückbehaltung des Bestandentgelts verzichtet, dies insbesondere gemäß den §§ 1096 und 1104 ABGB, sofern die Nutzung und Benutzbarkeit des Bestandobjekts nicht durch Umstände, die der Bestandgeber zumindest grob fahrlässig zu verantworten hat, wesentlich (sowohl betreffend Umfang und Dauer) eingeschränkt wird oder dem Bestandnehmer hieraus ein erheblicher, nachweislicher Nachteil entsteht.
Auf der Grundlage von § 1 COVID-Maßnahmengesetz wurden vom Gesundheitsministerium diverse Verordnungen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erlassen, die vom 16.3.2020 bis 30.4.2020, vom 17.11.2020 bis 6.12.2020 sowie vom 26.12.2020 bis 7.2.2021 zu insgesamt drei Lockdowns führten. Im Zuge dieser Lockdowns war auch das Betreten des Kundenbereichs der Betriebsstätten von Handels- und Dienstleistungsunternehmen zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen untersagt. Es gab zwar einige Ausnahmen, die jedoch lediglich Bereiche der Grundversorgung wie Apotheken etc. betrafen, welche für die Beklagte als Betreiberin eines Nagel- und Kosmetikstudios nicht einschlägig waren. Die Beklagte konnte ihr Geschäftslokal daher überhaupt nicht nutzen und bezahlte die weiterhin vorgeschriebenen Mietzinse in den Lockdown-Monaten nicht oder nur teilweise. Zudem beantragte die Beklagte für die Monate März bis Mai 2020 den sogenannten „Fixkostenzuschuss“. Die Klägerin forderte in weiterer Folge die offenen Mietzinse von der Beklagten gerichtlich ein.
Der Oberste Gerichtshof hielt in seiner Entscheidung fest, dass die COVID-19-Pandemie eine „Seuche“ im Sinne des § 1104 ABGB darstellt. § 1104 ABGB normiert den Entfall der Mietzinszahlungsverpflichtung des Bestandnehmers für den Fall, dass die Bestandssache aufgrund außerordentlicher Zufälle, wie Feuer, Krieg oder Seuche unbenutzbar wird. Der OGH stellte bezugnehmend auf die ältere Judikatur fest, dass unter außerordentlichen Zufällen im Sinne des § 1104 ABGB elementare Ereignisse zu verstehen sind, die von Menschen nicht beherrschbar sind, sodass für die Folgen im Allgemeinen von niemanden Ersatz erwartet werden kann. Diese elementaren Ereignisse treffen stets einen größeren Personenkreis auf eine Weise, die durch eine gesetzliche Regelung über Ersatzansprüche nicht ausgeglichen werden kann. Diese Kriterien treffen gemäß dem OGH auch auf die COVID-19-Pandemie zu.
Wenn der Kundenbereich eines gemieteten Geschäftslokals von den Kunden zudem nicht betreten werden darf, kann der bestimmungsgemäße Geschäftszweck nicht erfüllt werden und ist der Bestandsgegenstand nach Ansicht des OGH gänzlich unbrauchbar.
Für Fälle, in welchen die vertragsgemäße charakteristische Nutzung hingegen nur eingeschränkt war, erachtete der OGH eine Mietzinsminderung im Sinne des § 1105 ABGB im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode für angemessen. Die relative Berechnungsmethode stammt aus dem Gewährleistungsrecht und bedeutet grundsätzlich, dass ein Preisminderungsanspruch dergestalt berechnet wird, dass sich der vereinbarte Preis zum geminderten Preis so verhalten muss, wie der objektive Wert der Sache ohne Mangel zum objektiven Wert der Sache (gegenständlich: des Bestandgegenstandes) mit Mangel. Die Preisminderung errechnet sich dann aus der Differenz zwischen dem vereinbarten Preis und dem geminderten Preis.
Der Umstand, dass der Bestandgegenstand im konkreten Fall in einem Einkaufszentrum lag, welches an sich weiterhin betreten werden konnte sowie die damit einhergehende Versorgung des Einkaufszentrums mit Energie und die Bewachung und Reinigung der Allgemeinflächen, änderte gemäß dem OGH nichts am gänzlichen Entfall der Mietzinszahlungsverpflichtung der Beklagten gemäß § 1104 ABGB, da diese aus diesen Umständen keinerlei geschäftlichen Nutzen ziehen konnte. Auch der im Mietvertrag vereinbarte Verzicht auf das Mietzinsminderungsrecht gemäß den §§ 1104 und 1096 ABGB änderte an dieser Beurteilung des Obersten Gerichtshofs nichts. Dies bereits aus dem Grund, dass wiederholte Betretungsverbote, die mit einem erheblichen Kunden- und Umsatzausfall verbunden sind, jedenfalls als erhebliche Nachteile im Sinne der mietvertraglichen Ausnahmebestimmung betrachtet wurden.
Fixkostenzuschuss
Ein weiterer wesentlicher Punkt für Unternehmer in dieser höchstgerichtlichen Entscheidung zur GZ 3 Ob 184/21m ist, dass der OGH auch entschied, dass die Beklagte den von ihr bezogenen Fixkostenzuschuss nicht an die Klägerin herausgeben musste. Der sogenannte „Fixkostenzuschuss I“ beruht auf eine Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen zur Deckung von Fixkosten durch die COVID-19-Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG), die am 26.5.2020 in Kraft trat. Die inhaltlichen Regelungen finden sich in den Richtlinien im Anhang zu dieser Verordnung, die auch Inhalt des jeweiligen Fördervertrages mit der COFAG sind.
Nach Punkt 3.1.7. der Richtlinien müssen Unternehmen jegliche zumutbaren Maßnahmen gesetzt haben, um die durch den Fixkostenzuschuss zu deckenden Fixkosten zu reduzieren (Schadensminderungspflicht mittels ex-ante-Betrachtung). Dies bedeutet in der Praxis, dass es ausreichend ist, wenn die betroffenen Unternehmen ihren Vermieter außergerichtlich zum Erlass bzw. zur Minderung der Mietzinse aufgefordert haben und der Vermieter dieses außergerichtliche Ansuchen abgelehnt hat.
Nach Punkt 8.1. der Richtlinien hat eine nachträgliche Überprüfung der Zuschüsse im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen jedenfalls auf Basis von Stichproben stattzufinden. Gemäß Punkt 8.3. der Richtlinien hat die COFAG Fixkostenzuschüsse insoweit zurückzufordern, als sie zu einem späteren Zeitpunkt herausstellt, dass die dem Zuschuss zugrunde liegenden Verhältnisse nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen.
Reisebüro
Die Grundsätze der Entscheidung des OGH zur GZ 3 Ob 184/21m hinsichtlich des Entfalls der Mietzinszahlungsverpflichtung gemäß § 1104 ABGB sowie des Mietzinsminderungsanspruchs gemäß § 1105 ABGB wurden auch in der aktuelleren Entscheidung des OGH zur GZ 3 Ob 209/21p bestätigt. Betont wurde insbesondere neuerlich, dass die Frage, ob (teilweise) Unbenützbarkeit des Bestandgegenstands vorliegt, nach dem Vertragszweck zu beurteilen ist.
Der OGH entschied in diesem Fall, in dem es um Umsatzeinbußen eines Reisebüros ging, die nur teilweise auf behördliche Betretungsverbote zurückzuführen waren, jedoch auch differenzierend, dass Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters, die nicht aus behördlichen Betretungsverboten resultieren, sondern eine unmittelbare Folge der COVID-19-Pandemie sind, die sämtliche Unternehmer wie (auch) den Mieter des Geschäftslokals, insbesondere dessen gesamte Branche, allgemein und insgesamt treffen (im konkreten Fall: generelle Abnahme der Reisefreudigkeit aufgrund allgemeiner, pandemiebedingter Gesundheitsrisiken), dem Unternehmerrisiko zuzuordnen und daher für den zu zahlenden Mietzins nicht relevant sind.
Liefer- und Abholdienst
Ferner erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, insbesondere im Hinblick auf Gastgewerbebetriebe, auch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur GZ 8 Ob 131/21d vom 25.1.2022. In diesem Fall entschied der Oberste Gerichtshof, dass die objektive Möglichkeit einen Liefer- und Abholdienst zu etablieren, lediglich zu einer teilweisen Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstandes führen kann. Das Ausmaß des Mietzinsminderungsanspruches hängt immer vom jeweiligen Einzelfall ab, insbesondere von der Bedeutung eines Liefer- und Abholservices für den konkreten Betrieb. Die Möglichkeit der Etablierung eines Liefer- und Abholservices wird sich laut dem OGH etwa auf ein Fast-Food Lokal in einer Fußgängerzone mehr auswirken, als auf ein Luxusrestaurant in der Einöde. Das konkrete prozentuelle Ausmaß der Mietzinsminderung wurde in dieser Entscheidung offengelassen, da hierfür noch Sachverhaltsergänzungen erforderlich waren. In einer Entscheidung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 17.02.2021 wurde hinsichtlich einer Buchhandlung, welche einen Zustell- und Lieferdienst während der Betretungsverbote etablierte, jedoch eine Mietzinsminderung in Höhe von 64% für angemessen erachtet (gänzliches Betretungsverbot, GZ 39 R 27/21s).
Einzelhandelsgeschäft
Eine Konkretisierung hinsichtlich der bei der Berechnung des Mietzinsminderungsanspruchs heranzuziehenden Kriterien bietet auch die aktuelle Entscheidung des OGH zur GZ 4 Ob 218/21v. Bei der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhaltskonstellation war insbesondere wesentlich, dass jedenfalls ca. ein Drittel der Gesamtfläche des Geschäftslokals (Einzelhandelsgeschäft mit Verkauf von Kaffee und Non-Food-Artikeln samt der Verabreichung von Getränken und Speisen zum sofortigen Verzehr) als Lager, Büro sowie als Personalräume weiterhin nutzbar war und darin trotz verhängter Betretungsverbote für die Kundenbereiche auch Arbeiten verrichtet wurden. Die Mieterin betrieb die streitgegenständliche Filiale gemäß den Feststellungen des Obersten Gerichtshofes auch im Rahmen ihres weiträumigen Filialnetzes. Im Zusammenhang mit diesem tätigte sie auch Online-Verkäufe, und zwar auch während der Lockdowns.
Hierzu hielt der OGH fest, dass die Größenverhältnisse zwischen Verkaufsräumen und Lager bzw. sonstigen Räumen nicht der allein entscheidende Faktor zur Bemessung des Restnutzens sind. Abzustellen ist vielmehr auf den Vertragszweck bzw. auf den dem Vertrag zugrunde gelegten Geschäftszweck.
Die vermietete Geschäftsfläche war im konkreten Fall laut dem OGH – zumindest zum Teil – auch während der behördlich verordneten Sperre für den Kundenbetrieb dem Geschäftsbetrieb der Mieterin dienlich. Unter Berücksichtigung all dieser Aspekte (tatsächliche Nutzung sowie mögliche Nutzung im Rahmen ihres ausgedehnten Geschäftsbetriebs) erachtete der OGH – die immer von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängige – Höhe der Mietzinsminderung im Ausmaß von zwei Dritteln auf Basis eines Restnutzens im Ausmaß eines Drittels des Gesamtnutzens der Geschäftsräumlichkeit für vertretbar; dies auch unter Berücksichtigung der Umstände, dass an Sonn- und Feiertagen das Geschäftslokal in jedem Fall geschlossen gewesen wäre und dass während des dritten Lockdowns zweiseitige unternehmensbezogene Geschäfte möglich gewesen wären, sowie unabhängig vom Vorliegen einer Betriebsunterbrechungsversicherung.
Insgesamt hat der OGH mit diesen aktuellen Entscheidungen dem Rechtsverkehr jedenfalls wichtige Orientierungshilfen im Umgang mit aus der Corona-Pandemie resultierenden Mietzinsrückständen geliefert.
Petra Mitterecker, Juni 2022
zurück